Frau mit Fernglas auf Schiff, © Tourismusmarketing Niedersachsen GmbH
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Auf sanf­ten We­gen durchs Wang­er­land


Die Landschaft, die draußen vor dem Fenster vorbeizieht, liegt im Licht der tief stehenden Herbstsonne, die den Baumwipfeln eine goldene Krone aufgesetzt hat. Windräder greifen nach zerrissenen Wolken am Himmel und werfen lange Schatten. Ich drücke mit dem Finger den kleinen Hebel an der Tür nach unten und mit einem leisen Surren öffnet sich das Autofenster einen Spalt. Die Luft, die hereinströmt schmeckt nach Meer. Ich atme tief ein und greife nach Tobis Hand, der neben mir sitzt und ebenfalls verträumt aus dem Fenster schaut. Ein Wochenende raus, den Alltag hinter uns lassen und mal wieder etwas Zeit gemeinsam in der Natur verbringen. Wohin fährt man da? Da hin, wo der Horizont so weit ist, wie das Auge reicht – Ostfriesland.


„Und da wären wir auch schon – willkommen“, reißt mich Christian aus meinen Gedanken, der gerade das Auto auf den Parkplatz des NAKUK lenkt – das Hotel, in das wir uns für dieses Wochenende eingebucht haben. „Bei dem Haus handelt es sich um einen ehemaligen Gulfhof, einen Bauernhof mit einem Grundgerüst aus Holz in Ständerbauweise, dessen erste Fundamente in das 16. Jahrhundert zurückreichen“, erklärt Christian mit stolz in der Stimme, während er unsere Koffer und Taschen aus dem Kofferraum hebt. Er ist der Geschäftsführer des Hotels und Restaurants. Wir waren bei unserer Planung auf das friesische Landhotel aufmerksam geworden, weil wir es uns für unseren Wochenendtrip zur Aufgabe gemacht hatten, umweltfreundliche Alternativen zu unserem Auto und zu herkömmlichen Hotels zu finden. Ein Ziel, dem sich auch das NAKUK mit seiner nachhaltigen Philosophie verschreibt; weshalb uns das Team den Transfer direkt vom Bahnhof in Wilhelmshaven bis zum Hotel ermöglichte.

Aber auch in anderen Bereichen wird der Welt hier in dem alten Backsteinhaus mit dem roten Dach etwas Gutes getan. So macht uns Christian beim Betreten des Hotels auf die lehmverputzten Wände aufmerksam, die Teppiche, die aus recyceltem Plastikmüll aus dem Meer bestehen, den Kamin, der das gesamte Foyer mit Holzfeuer beheizt, die wilde Wiese vor der Terrassentür, die Insekten ein Refugium bietet und den Garten nebenan, in dem Gemüse, Obst und Kräuter angebaut werden. „Wartet ab, bis ihr nachher unsere Speisekarte seht“, sagt Christian dabei. „Wir kochen überwiegend mit regionalen Produkten. Und ihr werdet nicht glauben, welche Vielfalt Ostfriesland bietet.“ Er behält recht. Als wir uns abends durch die Speisekarte schlemmen, sind wir mehr als begeistert. So schmeckt also Ostfriesland!

Den Wild­gän­sen auf der Spur


Der nächste Morgen beginnt früh, bereits um 6 Uhr, aber voller Vorfreude. Es ist so unglaublich ruhig hier auf dem Land. Wir schlüpfen in wasserfeste Kleidung und Schuhe, laufen den kurzen Weg zur Fahrradscheune, in der uns das Team des NAKUK bereits ein paar Räder bereitgestellt hat, schwingen uns in den Sattel und fahren los in Richtung Hooksiel – die benachbarte Ortschaft. Morgennebel liegt über den Weiden und unsere Fahrradlampen tasten sich durch das erste Licht des Tages. Am Hooksieler Hafen angekommen entdecken wir sofort das Schiff, das bereits mit offener Gangway in der Mole liegt. „Moin“, dröhnt uns die Stimme des Kapitäns entgegen, als wir es betreten und uns erst einmal in die Wärme unter Deck flüchten, von wo uns bereits der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee entgegen steigt. Eine Gruppe von insgesamt 15 Menschen findet sich hier innerhalb der nächsten Minuten ein und macht es sich auf den honigfarbenen Holzbänken gemütlich.

„Willkommen auf der MS Jens Albrecht“, ergreift ein Mann mit grauem Haar und verschmitztem Blick kurz darauf das Wort, stellt sich als Ralf Sinning und Leiter des Nationalparkhauses Wangerland vor und erläutert noch einmal, wofür wir hier sind – eine Bootstour zum Sonnenaufgang auf den Spuren der Wildgänse und anderer Zugvögel. Als geheimer VogelkundeFan hatte ich Tobi davon überzeugen können, eine Veranstaltung im Rahmen der Zugvogeltage zu buchen. Eine Erlebnisreihe hier in der Region, bei der sich jeden Oktober zwei Wochen lang alles um die Zugvögel dreht, die auf ihrer Reise in den Süden im Wattenmeer Rast machen.

Die folgenden vier Stunden verbringen wir mit unseren Ferngläsern an Deck und halten Ausschau nach Wildgänsen, Eiderenten, Ringelgänsen und anderen südlich ziehenden Vögeln, während uns die klare Nordseeluft um die Ohren pustet. Über die Lautsprecher des Schiffs gibt Vogelforscher Werner Menke – von der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Natur und Umweltschutz – immer wieder Hinweise, wo es etwas zu entdecken gibt. Das heißt, wenn er nicht gerade mit seinem bereits leicht zerfledderten Vogelbuch über Deck wandelt und neugierigen Gästen bei der Bestimmung von erspähten Arten hilft. „Oh Achtung“, hallt seine Stimme da auch schon wieder über die in Kapuzen und Stirnbände eingepackten Köpfe hinweg. „Steuerbord könnt ihr zur Abwechslung mal etwas anderes Ortstypisches entdecken.“ Nur wenige Sekunden später steht die Gruppe in Reih und Glied an der Reling und bewundert einen kleinen Seehund, der sich neben ein paar Möwen auf einer Sandbank räkelt.

Neu­har­lin­ger­siel – ein Vor­bild für den um­welt­scho­nen­den Krab­ben­fang


Ein tolles Erlebnis, über das wir uns noch am nächsten Tag auf dem Weg nach Neuharlingersiel unterhalten. Das ist einer der vielen kleinen Sielorte, die sich an der Nordseeküste aneinanderreihen. Und dieses Mal sind wir tatsächlich mit dem Auto unterwegs. Und zwar mit dem Nordseeflitzer, einem E-Auto, von welchem es mehrere in der Region zu mieten gibt. Mit Gästekarte sogar zwei Stunden pro Tag kostenlos. Und so sausen wir über die Landstraßen, vorbei an Pferdeweiden, bestellten Feldern und kleinen Dörfern, bis wir das für seine Krabbenfischerei bekannte Neuharlingersiel erreichen. An kleine Flaschenboote erinnern die bunten Kutter, die hier im Hafenbecken vor sich hindümpeln. Anna 1, Jan von Gent, Harmonie steht auf den roten, blauen und grünen Schiffsbäuchen in geschwungenen Buchstaben.

Begleitet vom Klappern der Schiffsleinen und dem Geruch von Seetang, der noch in den Netzen hängt, laufen wir am Hafenbecken entlang und kommen schließlich beim Krabbenkutter Zenit mit dem Fischer ins Gespräch, der hier gerade an Deck Klarschiff macht. Er stellt sich als Timo Barkhoff und leidenschaftlicher Krabbenfischer vor und lädt uns – nachdem wir ein paar neugierige Fragen zu viel gestellt haben – ein, an Deck zu kommen. „Na dann kommt mal ruff hia. Dann kann ich das anständig zeigen“, sagt er und versteckt die freundliche Geste gekonnt hinter seiner coolen Seemannsmiene. Staunend lauschen wir, als Timo uns von den Auflagen erzählt, die die Fischer erfüllen müssen, um umweltschonend und MSC-zertifiziert hier in der Region Krabben fischen zu können. Sogar die Größe der Netzmaschen wird hier kontrolliert, damit es so wenig Beifang wie möglich gibt. „Und das, was wir an Beifang haben, das geht lebendig wieder über Bord“, ergänzt er, während unsere Finger noch an dem Netz herumfriemeln, das er uns gerade zeigt. „Ich will das auch noch bis zu meinem Rentenalter machen. Und damit ich das kann, fische ich nachhaltig“, beendet Timo seine Erzählung.

Wir verabschieden uns. Denn unser Transfer zurück zum Bahnhof wartet bereits im NAKUK auf uns. Doch bevor wir uns in den Zug nach Hause setzen, machen wir noch einen Abstecher zum Wattenmeer Besucherzentrum, das nur einen kurzen Fußmarsch vom Bahnhof entfernt liegt. Eine Empfehlung von Vogelforscher Werner. Denn in der neuen Ausstellung können wir noch mehr darüber lernen, welchen Einfluss der Klimawandel auf diese beeindruckende Landschaft und ihre Lebewesen hat. Die Zeit verfliegt zwischen all den interaktiven Stationen, an denen wir es regnen lassen, Fluttore durch Rudern unserer Arme schließen und den Mond und damit auch das Meer mit unseren eigenen Händen bewegen. „Lass uns das bitte öfter machen“, sagt Tobi zu mir, als wir schließlich doch im Zug sitzen und beide unseren Gedanken zu diesem Wochenende nachhängen. „Auf jeden Fall“, antworte ich und habe im Kopf schon Pläne, wo es das nächste Mal hingehen könnte.